Wünsche im Konflikt

Noch nie war dieser Ausspruch so präsent, wie heute. Und gewiss war die Möglichkeit dazu selten so greifbar nah. Doch wie entdeckt man das, was man wirklich will? Wie erkennt man innere Wunschkonflikte und wieso ist das Erkunden der eigentlichen Sehnsüchte mit Innenschau verbunden? 

Zum Greifen nah

Etliche Wünsche sind heute zum Greifen nah. Nicht zuletzt durch die gesellschaftliche Entwicklung ist das Angebot an Zielen und Wünschen, von denen wir uns inspirieren lassen können, enorm gestiegen: Sei das in Form von beruflicher Selbstständigkeit an paradiesischen Orten, in Form von polyamourösen Partnerschaften, die unsere Bedürfnisse nach Sicherheit und Aufregung gleichsam zu decken versuchen oder in Form von der Demokratisierung der Medienkultur, in der jeder Mensch seine Momente an Ruhm erfahren kann. Nie schien in unserer liberalen, multioptionalen Gesellschaft ein Leben nach unseren Wünschen so einfach.

Doch ist es wirklich einfacher? 
Denn mit zunehmenden Möglichkeiten der Lebensgestaltung wächst auch die Frage nach einem möglichen Lebensweg. Es wird ein Ziel benötigt, an dem man sich orientieren kann. Und will man sein Glück finden, liegt es nah, es auf seinen Wünschen aufzubauen.

Nur wie finde ich heraus, was ich wirklich will?
Zu entdecken, was man wirklich will – jenseits oberflächlicher Motivationen – kann sehr herausfordernd sein, weil uns in der Regel viele Antriebe, die unser Leben bestimmen, nicht bewusst sind. So kommt es vor, dass wir uns an der einen Stelle über die Datenaffinität von WhatsApp empören und unsere Daten lieber in Sicherheit wissen, den Messenger aber dennoch im Alltag nutzen. An anderer Stelle bedauern wir vielleicht das Schicksal der Lachse aus dem Aquafarming und entscheiden im Moment vor der Fischtheke nach dem Preis. Neben diesen scheinbar oberflächlichen Spannungen gibt es aber auch tiefere Konflikte.

Grundlegendere Wunschkonflikte

So gab es vielleicht einmal eine starke Erfahrung von Hilflosigkeit, aus der sich das tiefgreifende Bedürfnis nach Sicherheit entwickelte, das bis heute unbewusst wesentlich stärker wirkt, als das Bedürfnis nach einer beruflichen Selbstständigkeit. Dann wundert sich heute eine Person, wieso sie Widerstände hat, bspw. bestimmte Schritte zur ersehnten Freiberuflichkeit zu gehen, Situationen des öffentlichen Auftritts meidet oder stärkeres Unbehagen in Momenten hat, in denen sie gefragt ist, sich zu verkaufen. So kann das tiefgreifende Bedürfnis nach Sicherheit zu weitreichenden Blockaden führen. Auch, wenn es noch ganz unbewusst ist. 

An anderer Stelle hat jemand vielleicht immer wieder die Erfahrung gemacht, mit seinen Bedürfnissen zur Last seiner Mitmenschen zu fallen. Aus Angst, einen damit einhergehenden Mangel an Verbindung und Geborgenheit zu erfahren, wurden immer wieder die eigenen Wünschen zurückgestellt – weil diese ja in der Beziehung zur Last fallen könnten. So blockiert die Sehnsucht nach Verbundenheit möglicherweise jegliche Aggressionsimpulse, die der Person helfen würden, ihre eigenen Bedürfnisse und Standpunkte zum Ausdruck zu bringen und dafür einzutreten.

Solche tiefgreifenden und weniger bewussten Spannungen können Überzeugungen mit sich bringen, das eigene Leben nicht gemäß der eigenen Wünsche gestalten zu können. Will man das eine, gibt es etwas anderes, was dagegen zu spielen scheint. Es kann einfach nicht einfach gehen.

Erkennen, was man wirklich will. 

Will man entdecken, was man wirklich will, möchte man die grundlegenden Antriebe ergründen, ist man gut beraten, einen tieferen Blick auf sich zu werfen. 

Eigene Persönlichkeit
Einen Blick auf die Persönlichkeit, die subjektive Ausprägungen wie Werte, Einstellungen und den Umgang mit bestimmten Gegebenheiten des Lebens umfasst und sich durch höchst individuelle Aspekte auszeichnet, die durch zwei grundlegende Faktoren beeinflusst werden: die genetischen Anlagen auf der einen Seite und die bisherigen Erfahrungen auf der anderen.  

Genetische Anlagen 
Die genetischen Anlagen haben unter anderem Einfluss auf die biochemischen Reaktionsmuster innerhalb unseres Nervensystems und tragen so beispielsweise dazu bei, ob jemand grundsätzlich toleranter für Stress ist oder eine stärkere Disposition für eine bestimmte psychische Erkrankung hat. 1

Biografische Erfahrungen
Und auch die Erfahrungen aus dem kleineren Kreis von Freunden und Familie, als auch dem größeren Kreis von Bekannten und Gesellschaft wirken ebenso auf unsere Persönlichkeit. 2 Sei es in Form frühkindlicher Erfahrungen, die uns passierten und prägten, als auch spätere Erfahrungen, die wir nicht nur schicksalhaft erfuhren, sondern auch mit unserem Willen beeinflussten. 

Hierunter fällt natürlich auch die Art und Weise, wie wir unseren Willen formulieren, wie wir unsere Welt wahrnehmen und wie wir auf sie eingehen. Dabei ergibt sich dieses Wie zu einem erheblichen Anteil aus unserem Charakter. 

Der Charakter

Man kann ihn schon bei kleinen Kindern beobachten. Auf einem Spielplatz wird das besonders deutlich: die einen Kinder wirken eher zurückhaltend, wohingegen andere sich mit vollem Elan in ihre Umwelt stürzen. Wiederum andere Kinder fallen durch eine hohe Hilfsbereitschaft auf, wohingegen manche lieber für sich ganz alleine spielen. Das sind Anzeichen dafür, dass bereits jedes Kind unterschiedliche Muster hat, nach denen Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen organisiert sind. Sogenannte Charaktermuster. Auch, wenn diese uns meist gar nicht bewusst sind, laufen sie permanent im Hintergrund ab und tragen dazu bei, wie unser Denken, unser Fühlen und Handeln strukturiert sind. 

Charakter und Wünsche

Und so haben Charaktermuster natürlich auch einen enormen Einfluss auf unsere Bedürfnisse und unsere Wünsche, die uns – wie der Charakter selbst – zumeist weniger bewusst sind. Entdecken wir unsere Muster und finden wir die mit ihm einhergehenden Bedürfnisse heraus, können wir ein tieferes Verständnis für unsere Antriebe erlangen und wesentlich leichter Wunschkonflikte erkennen. Und sie so zur Lösung bringen. 

Wie sich der Charakter entwickelt, auf was er konkret fußt und wie er unsere Persönlichkeit formt, nehmen wir in der Charakter Fibel genauer unter die Lupe. Wir schauen uns an, wie er bestimmte Dramen und Wunschkonflikte mitgestaltet. Woher beispielsweise die Spannung zwischen Selbstbestimmung und dem Bedürfnis nach Unterstützung herrührt. Oder wodurch Konflikte zwischen dem Wunsch nach einem friedvollem Miteinander auf der einen Seite und dem Antrieb, seine eigenen Bedürfnisse zu realisieren auf der anderen Seite aufrecht gehalten werden. 

Quellen:  

  1. Vgl. Faller, Hermann, and Lang, Hermann. Medizinische Psychologie und Soziologie. Deutschland, Springer Berlin Heidelberg, 2011. S. 21.
  2. Vgl. Brand, Matthias, et al. Psychologie: Eine Einführung in ihre Grundlagen und Anwendungsfelder. Deutschland, Kohlhammer Verlag, 2015. S. 216.